Donnerstag, 18. Juli 2013

Ruta graveolens, die Weinraute


Die Weinraute ist beim ersten Eindruck ein augenfällig sonniges Jupiter-Kraut im alten Sinn, als Jupiter das Fischeprinzip mitbeherrschte und damit alle giftigen oder narkotischen Pflanzen.

Ruta trägt das matte Graublaugrün Neptuns an Stängeln und Blättern, wie man es auch von Mohnkapseln kennt, und hat tatsächlich erhebliche Arzneiwirkung, weshalb man sie mit Bedacht dosieren sollte und in der Schwangerschaft und Stillzeit meiden.

Die Blüte ist erst beim zweiten Blick gift-grüngelb und trägt vier Pollenstände frei an einem 'nadeligen' Kreuz (Ma/Sa), die anderen vier verborgen in drachenförmigen Blütenblättern, die sich nicht völlig öffnen, sondern mit aufgerollten Rändern jedes Blatt zu einem rautenförmigen Gefäss formen, vielleicht kommt ja daher der Name.

Unübersehbar ist die strenge Symmetrie der Blüte, ihre Kreuzform der Verhaltenheit und Struktur.
Die Pflanze selbst wächst gerne auf sonnigen, mageren Böden und wurde vermutlich als Weingewürz von reisenden Klosterbrüdern aus Südeuropa "eingeschleppt", die sie dann auch als (männliches) Anaphrodisiakum und zu weiteren Anwendungen einsetzten.


Es ist das Kraut für (Über)anstrengungsfolgen, das der Tüchtigen und Kämpfer an den Grenzen des Groben, Erdschweren und Materiellen.

Die Leiden der Widerständigen, Ehrgeizigen sind angesprochen, die der (Ausdauer)-Sportler und Gnadenlosen gegen sich und andere, die Zielverfolger, auch im Feinen, die Konzentrierten, Fokussierten an Pinseln, Sticheln, Nadeln, Feilen, Lötspitzen und anderem präzisen Werkzeug.

Die Ruta-Blüte gefällt naturgemäss den Strukturproblematikern und Liebhabern des gespiegelten Ebenmasses (Sa/Ur), die Unvollkommenheit und Begrenztheit der Welt wenigstens geistig durchdringen wollen oder sich vergebens oder unbewusst daran abarbeiten (Ma/Sa).

Sie ist eindeutig Vorbild für die Kreuzblumen (Wiki), typische Ornamente, die die Abschlüsse an Türmen und den Zusammenlauf von Bögen an gotischen Bauten zieren:


Wie die echte Ruta- Blüte ist die gotische Kreuzblume nach unten gerundet und öffnet sich nur direkt nach oben, niemals schräg oder seitwärts, und bildet erdseitig ein klar strukturiertes Viereck, das die fein geschwungene Ornamentik und Grazie, die sich nur in der Draufsicht zur Gänze zeigt, bestenfalls ahnen lässt.

In der Gotik war alles streng himmelwärts, jenseitig ausgerichtet, es war unerheblich, dass der kleine Erdenmensch und Kirchenbesucher die volle Ausprägung der Ornamente wegen der grossen Höhe kaum sehen konnte. Es zählte nur der Eindruck, auch der der Unerreichbarkeit der Grösse (Gottes).

Vom Altertum bis in die Neuzeit war die Weinraute ein hochgeschätztes Pharmakon, erst in der Neuzeit wurde sie so gut wie vergessen.
Laut Christian Rätsch (in seiner "Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen") könnte sie die sagenhafte Pflanze Moly gewesen sein, die Odysseus vor der Zauberin Kirke beschützte und seine in Schweine verwandelten Männer erlöste, also in Menschliche zurückzauberte.

Ihr Ruf als Gegengift, als stoffliches Antidot für Pilzvergiftung, Tiergifte und gegen das Umkippen des Weins ist belegt.
Sie wurde, zusammen mit Salbei, Wein in zweifelhaften Gefässen und Darreichungen beigegeben, damit der keine üblen Folgen hatte oder einfach, damit er sich länger hielt.
"Salvia cum ruta facunt pocula tuta" ("Salbei und Rauten im Wein lassen Dir das Saufen nicht schädlich sein").
Die Cumarine der Raute könnten, wie die des Waldmeisters, den noch jungen Wein (Sauser) bekömmlicher machen, Salbei stoppt eh das Wachstum von Mikroorganismen, falsche Hefen z.B., aber das Entscheidende ist wohl die Stärkung des Bewusstseins gegen den Rausch, als grösste Potenz des Krauts.

Die Raute galt als vor allem als antidämonisch, innerlich wie äusserlich stärkend gegen Ansteckung, Befall und Verwünschungen.
Es gab noch im 19. Jhd. Amulette in Form von kleinen Wachstäfelchen, in denen Rautenlaub mit Salz eingeknetet war und die am Körper getragen oder dem Vieh eingegeben wurden, wenn eine "Sucht", Seuche unterwegs war.
Auch war sie Bestandteil des Pest- oder Vierräuberessigs, den die Ärzte mittels getränkten Läppchen in ihren Pestmasken verwendeten. Das Rezept dazu hatten sie von einer gefassten, gesundgebliebenen Plündererbande erpresst, die auch das Ausgraben verstorbener Pestkranker nicht gescheut hatten.

Die Anwendungsgebiete und Rezepte mit Raute sind Legion. Sie wurde frisch und getrocknet als Gewürz verwendet, in Olivenöl gekocht (Wurmmittel) und in Wein (Emenagogum, Abortivum, Tonikum), in Milch und Wasser (Lungenverschleimung, Harnwege, Verdauung), wurde in Salz, Honig, Zucker und Fruchtmus eingemacht (Augen, Sehkraft, Herz, Sinne(sorgane), in Branntwein ausgezogen oder als Likörkraut (luststeigernd und tonisierend für Frauen, lustmindernd und  sedativ bei Männern), als Umschlag oder Pflaster aufgebracht (Gelenke, Hautkrankheiten, offene Beine, Tierbisse, Insektenstiche), Bädern beigegeben (gegen Krämpfe, Schwäche, Hysterie)...

Bei der Raute als Heilkraut geht es um die Stärkung des Ich-Pols, des Sonnenhaften. Wie die kantig-klare Blüte das matte, lapprig geformte Laub überragt und krönt, beherrscht ein souveränes Ego in Selbstverständnis seinen Willen, durchstrahlt und strukturiert ein gesunder Mut und Herzrhythmus den Organismus und entzieht den "Krankheitswürmern" und Besetztheiten die Grundlagen des Wachstums.

In der Homöopathie gehört Ruta(*) zu den unverzichtbaren, strukturheilenden Mitteln für Bindegewebe aller Art, bei Sehnen-, Sehnenscheiden- Knochenhaut und Gelenksbeschwerden, aber auch für müde Augen, alles in Folge von Überforderung, schicksalshafter Härte und Vergeblichkeit und/oder Einseitigkeit der Belastung.

Die erste Ruta-Pflanze, die ich vor etlichen Jahren in den Garten pflanzte, wollte nicht wiederkommen, nachdem sie eine kindliche Untersuchung nicht überlebt hatte. 
Mein damals noch kleiner Sohn, dem "Brumen" im allgemeinen hinten vorbeigingen, war von der Pflanze, besonders von den rundpolsterartigen, noch unreifen Samenkapseln eines Tages offensichtlich angezogen. Er zerlegte sie (Widder AC, Mars in V, was willst machen...), roch dann stirnrunzelnd an seinen kleinen Fingern, befand: Äah! und streckte die Hände angewidert von sich, bis sie mit Seife gewaschen waren.

Vorletztes Jahr dann unternahm ich wieder einen Anlauf mit geschenkten Pflänzchen aus dem Garten einer Bekannten, in der die Raute nur so wuchert. Kaum in der Erde, hatten sie die Schnecken trotz trockenem Wetter innerhalb kurzer Zeit niedergemäht.

Letztes Jahr dann wollten endlich ein paar Rauten überdauern, da hatte ich bereits gelesen, dass die Pflanze unter Flüchen und Verwünschungen gesäht werden will oder als Pflänzchen geklaut. 
Die hundsmiserablen gottverdammten Dreckspflanzen trieben dann tatsächlich recht schnell durch und stehen auch heuer wieder üppig in Kraut und Blüte. 

Ich begann gleich einen spontanen Selbstversuch zur legendären Wirkung der Raute auf die Sehkraft. Maler, Schreiber, Feinhandwerker nutzten sie überliefertermassen für ein "gutes Gesicht", salzten sich einen Vorrat ein oder nahmen sie mit Feigen, Honig oder Schnaps zu sich. 

Ich hatte da gerade eine frickelige Stickerei, kleinste transparente Glasperlen mit feinster Nadel auf Hirschleder, in Betrieb. Gar nicht mein Ding - nach zwei Stunden brannten mir die Augen wie Feuerbälle und konnte ich fast nicht mehr fokussieren. Ich holte mir ein paar Blättchen aus dem nächtlichen Garten und die wirkten sofort, obwohl ich nicht damit gerechnet hatte.

Seitdem anerkenne ich das feine Kreuz in der Blüte zusätzlich als Fadenkreuz und esse so gut wie täglich mindestens diese Menge Rautenblättchen, gleich in der Früh zum Espresso, die Geschmäcker vertragen sich gut...


...und ich weiss seitdem, dass im Kleinstgedruckten meiner Duschgeltube sich Wörter wie Disodium Cocoyl Glutamate und Isoamyl Laurate herumtreiben, kann also eineinhalb Jahre vor meinem 50. Geburtstag noch eine 6- oder 7Punkt- Schrift voller Unbekannten lesen, wenn auch zugegebenermassen nicht mehr im Düsterlicht meines Badekammerls.

Und die winzigen Öldrüsen im Rautenblatt kann ich sehen gegen das Licht, das war mir letztes Jahr noch verwehrt. 


(Das Fotografieren erwies sich als schwieriger...) 

Für den Winter hatte ich mir etwas Kraut getrocknet, das ich ab und zu kaute, es vertreibt auch den Mundgeruch nach rohen Zwiebeln und Knoblauch. 
Die Öl- oder Wachsschicht auf dem Laub bleibt bei schonender Trocknung erhalten und macht die Trockenpflanze leicht ledrig. 
Sie  schmeckt angenehm aromatisch, nicht ganz so bitter und rass wie das Frischkraut. Gepflückt hatte ich sie noch vor der Blüte.


(Das Kraut sollte kein Licht erwischen, weder beim noch nach dem Trocknen. 
Die gelben Anteile auf dem Foto sind ausgebleicht und haben kaum mehr Aroma. Ich hoffe, ihr könntzes lesen ;-)

Eigentümlich ist, dass genau eine Blüte pro Stängel, nämlich die älteste, mittlere, 5zählig ist an Blättern, alle äusseren Blüten aber vierzählig, woraus in einigen Schriften die Signatur "Geist" (Merkur, 5) stünde über "Materie" (Saturn, 4) abgeleitet wird.
Tatsächlich überwachsen die saturnalen Blüten die Merkuriale an Höhe und Anzahl so rasch, dass man sie nur entdeckt, wenn man weiss, dass es sie gibt. Dafür wird die fünfteilige Samenkapsel zuerst reif.

Auffällig ist eher die Zahl 3 (Jupiter), die jede Blütenetage ausprägt, in einem selbstähnlichem Muster: Die Mittelblüte hat links und rechts drei Stängel mit Blüten, von denen die mittlere wiederum zurückbleibt, die randständigen jeweils drei Stängel treiben – und so fort, was zur Entstehung  einer Trugdolde führt.

Eine Signatur, die (wenigstens zum Merken/Lernen) gut passt, ist die Wirkung der Raute auf Aussackungen und Ausstülpungen im Organismus, zu sehen an Teilen der Blüte, vor allem aber an der tropfen- oder sackartigen Form der Blätter. 

Auch die Netzhaut des Auges ist ja ontogenetisch eine direkte Ausstülpung des Gehirns
Dann gibts da noch die Ausstülpungen am anderen Körperende, die Hämorrhoiden, die den Anus abdichten und von denen wir nichts spüren, bis sie sich entzünden, bluten, hervortreten oder so gross sind, dass man ihnen nur noch diesen kryptischen Namen gibt. Früher waren es immerhin "Goldadern", da eher ein Leiden der reichen Schlemmer, die sich Völlerei beim Rumsitzen leisten konnten.

Die Raute entstaut die Leber und damit die hämorrhoidalen Knoten, die an ihrem Kreislauf hängen. Das Auge wiederum hängt am Leberfeuer, dem Jupiterprinzip der Synthese und Erkenntnis, dafür gibts auch viele andere Heilpflanzen, vorrangig das Schöllkraut (Chelidonium, Coeli donum = Himmelsgeschenk, also auch ein Gnadenkraut, Herb of Grace, wie die Raute im Englischen genannt wird).

Interessant bei der Raute ist jedoch ihr ziemlich einzigartiger Einsatz bei Rektum-Ca, -Prolaps, Polypen sowie Darmdivertikulose und -Divertikulitis, sowohl in der Pflanzenheilkunde wie auch in der Homöopathie. 
Letzteres sind echte Jupiterkrankheiten. Die rechte Fügung fehlt und diese Tatsache sinkt ins Stoffliche, ergibt ein Pseudo-Wachstum, eine sinnlose Erweiterung, um ihrer selbst Willen ohne rechte Ursache und Inhalt.

Dabei bilden sich Aussackungen, meist im Dickdarm, bei dem Darmschleimhaut oder ganze Darmabschnitte durch Bindegewebslücken an den Gefässeingängen nach aussen treten und Säckchen bilden, die sich entzünden können und arge Beschwerden machen. Lange Zeit spürt man nichts davon, ist doch der Dickdarm als Domäne des Skorpionprinzips im Organismus entsprechend 'verschwiegen', d.h. dessen Umwandlungsprozesse verlaufend so schleichend und unbemerkt wie in der Tiefe eines Komposthaufens, während das Jupiter-Prinzip ständig zum nächsten Horizont zielt und die dunkle, unbewusste Dimension irgendwo hinter oder unter sich wähnt.

Betroffen sind meist, aber nicht nur, ältere Menschen mit hohem Konsum, materiell, emotional, geistig, der ob seines Selbstzwecks (Mehrung, Füllung, Anregung) weder nährt noch sättigt und daher dauernd Nachschub braucht.
Ein schlaffer, erweiterter Darm mit entsprechendem Bindegewebe ist fast schon die Regel ab einem gewissen Alter, und die ständige Gier nach potentiell einzuverleibendem Neuem eine anerkannte, gesellschaftlich akzeptierte Lebensweise.

Genaugenommen hält diese Art Neu-Gier die immense Flut an sinnlosen Gütern, Seelen- Junkfood und Information erst auf dem steigendem Level. 
Die reaktive Spiritualitätssucht mit ihren Sinn+Glücksverkäufern ist nur eine ihrer Folgen. Die Ursache liegt in einem Blick auf die Welt, die sie zur reinen Funktion reduziert: Ein riesiger 24h Supermarkt, ein Konsumparadies mit 3-D Screens, angestelltem Beratungs-, Bespassungs- und Animationspersonal, das gewohnheitsmässig mit dem geistigen Einkaufswägelchen durchwandert wird auf der Suche nach dem nächsten Convenience- Produkt.

Ruta bringt den physiologischen Tonus der Darmwände zurück, natürlich braucht das ein Weilchen und der Jupiter- Fülle- und Wachstumspotenz sollte man gleichzeitig eine sinnhafte Manifestationsebene eröffnen. 

(*)Da es auch von Laien gut einsetzbar ist (D4 bis C30) hier eine Übersicht der wichtigsten Symptome bei homöopathischer Anwendung:

Knochen- und Periostverletzung!! Hand+ Fussgelenke!

(nach Symphytum bei Knochenbrüchen; nach Arnica bei Gelenksverletzung )
Verstauchung, Verrenkung mit Lähmigkeit und Schmerz WIE ZERSCHLAGEN (= Leitsymptom!), besonders Handgelenk und Knöchel, Schwäche und leichtes Umknicken derselben nach längerem Sitzen
Ruhelos, ändert häufig die Lage beim Liegen, Körperteil auf dem man liegt, schmerzt wie zerschlagen
Bei Rückenschmerz bessert Rückenlage
weher, wunder Schmerz in der Achillessehne
Tennisarm!
Ganglion am Handgelenk
Sehnenscheidenentzündung
schmerzende Ablagerungen im Gelenksbereich (z.B. Kalkschulter)
Schleimbeutelentzündung (bes. am Knie, bes. Bursitis praepatellaris)

Schlimmer bei:

– Kälte
kaltem, feuchtem Wetter
zu Beginn der Bewegung
– Liegen auf der schmerzhaften Seite

Es bessert:

fortgesetzte Bewegung
Reiben, Einreibungen
– vorsichtige, bewusste Bewegung ins schmerzhafte Gebiet hinein

(Es finden sich Gemeinsamkeiten mit Rhus tox, Arnica und anderen Mitteln, auf Augen-, Gebärmutter- Rektum- und andere Beschwerden gehe ich nicht näher ein, da sie homöopathisch schwerer von anderen Mitteln zu differenzieren sind.)