Mittwoch, 12. August 2015

Tschamba Fii- Alternative, überarbeitet


Diese Version kommt mit Trockendrogen und vereinfachter Zutatenliste zum etwa gleichen Ergebnis.

Und so gehts:

100g getrocknete Blutwurzwurzeln (Tormentilla erecta radix), am besten stückig (d. i. gebrochen, nicht gemahlen)
mit 0,7 Liter 32% Kornbrand und 0,7 Liter Wasser ansetzen und mindestens 12 Tage in einem Glasgefäss an der Sonne ausziehen, dabei ab und zu schütteln.

70g getrocknete Mädesüssblüten (Filipendula ulmaria flos)(*) mit 0,5 l Wasser mischen und anquellen lassen, dann mit 38% Doppelkorn bedecken (evtl. mehrmals Schnaps nachgiessen und umrühren, Blüten müssen bedeckt sein) und ebenfalls 10 bis 12 Tage ausziehen, öfter schütteln oder umrühren.

Danach beide Ansätze fein abseihen und mischen.

Die Rückstände der Wurzeln und Blüten in einen emaillierten Kochtopf oder ein Edelstahlgeschirr zusammenschütten und folgendes zugeben:

30g getrocknete wilde Malvenblüten, d. i. Käsepappelblüten (Malva sylvestris flos) 
z. B. im Kräuterhaus Lindig in München erhältlich, auch online:
(Obacht, keinen Hibiskus verwenden, weil der extrem färbt!)

3 gehäufte EL des Pulvers "Henna blond" vom Drogeriemarkt Müller(**), daselbst bei den Haarfarben zu finden

Alles gut mit Wasser bedecken, kurz aufwallen lassen, von der Kochplatte ziehen und 10 Minuten ziehen lassen. 
Danach abseihen, auskühlen lassen, filtern und mit dem alkoholischen Ansatz mischen.

2 EL pures Aloe Vera- Gel unterrühren.

Fertig!

- zur Verdünnung!!! (1:1 mit Wasser)

Lagerung, Anwendung und weitere Info
siehe das ursprüngliche Rezept.

(*) Ein Problem bei getrocknetem Mädessüss aus dem Handel ist ihr stark schwankender Acetylsalicylsäuregehalt (ein Grund, weshalb sie der Verwertung durch die Pharmaindustrie ausgekommen ist)
Daher die vergleichsweise hohe Dosierung. 
In den Blüten ist eh relativ wenig ASS und wenn die Wirkstoffgehalte insgesamt nach dem Trocknen zu niedrig ausfallen bzw. das Trockengut zu lange gelagert wurde, funktioniert die Lotion nicht!

Deshalb empfiehlt sich, wenns denn schon die Trockenware sein muss, das selbst Sammeln und Trocknen (mit Unterlage, das Mädesüss lässt, zum Trocknen aufgehängt, viele ihrer Blüten fahren)
an einem möglichst sumpfigen, feuchten, eher schattigen Standort, an dem sich die Pflanze ordentlich strecken muss, um Sonne zu erwischen. Dort bildet sie, zum Selbstschutz, am ehesten viel Säure aus. 
Näheres zur Pflanze im Blog.

(**) enthält ausreichend Kamille, Cassia und Katechu)

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Mein Dank den vielen konstruktiven Rückmeldungen, allen Prüfern und Pröbchen- Sendern sowie Wilfried Ehrenfeld, der einen Versuch mit Malvenblättern unternommen hat und seine verwendeten Flüssigkeitsmengen beim Ansatz der Trockenpflanzen dokumentierte.

Anscheinend brauchts jedoch weniger die Schleimstoffe der Malve insgesamt als die Anthocyane, den Farbstoff der Blüte, als UV- Lichtblocker!

(nebenbei wirken die, laut naturheilkundlicher Jubelpresse der letzten Jahre, in der Haut und anderen Geweben als starker Zellschutz, d. h. wider die freien Radikale = instabile und daher zellaggressive Sauerstoffmoleküle)

Sollte noch jemand mit Malvenblättern gearbeitet haben und daher keine rechte Sonnenschutzwirkung erfahren: 

Einfach Malvenblütentee anstatt Wasser als Verdünnungsmedium zugeben und schon passts wieder! 

Zum Erhalt der antioxidativen Eigenschaft der Anthocyane kann man diesen als Kaltauszug bereiten: Mit warmem Wasser aufgiessen, ein paar Stunden ziehen lassen und abseihen.

Dienstag, 9. Juni 2015

Zum Tschamba- Fii Ersatz

Mir wird die Mailflut nun endgültig zuviel, deswegen nochmal:

*INFO*

Donnerstag, 9. April 2015

Ich habe keinen Tschamba- Fii Ersatz abzugeben

Auch keine Proben, es ist längst alles weg.


Auch den heurigen Ansatz bereite ich nur für mein Umfeld und mich, die Menge ist dafür schon knapp genug.

Weil mich derzeit gehäuft Nachfragen erreichen: Ihr könnt der Rezeptur vertrauen, es wurde auch von empfindlicher, sogar dünner und wunder Haut gut vertragen.
Und bittschön:
Ich habe nicht mit der Briefwaage gearbeitet und halte es auch nicht für nötig!

Nachtrag zum Bezug der Inhaltstoffe:


Die beiden Pflanzen wachsen wild 

in GANZ Deutschland, Österreich, in der Schweiz...

Mädesüss in feuchten Gräben+ sumpfigem Gelände, die wilde Malve oder die Moschusmalve gern in Brachen, am Bahndamm, aufgelassenen Steinbrüchen, Kiesgruben..., wird aber auch in Gärten angepflanzt

oder sind im Gartencenter zu kriegen, beim Gärtner zu bestellen oder übers Netz.

Als Trockenkraut/Droge ist beides im Kräuterhandel erhältlich, dann übernacht in kaltem Wasser einweichen, samt Einweichflüssigkeit ansetzen.

(Ein Versuch über die jeweils genaue Menge der Trockendrogen bzw. den Wasserzusatz läuft – ein Chemiker, der das Rezept herstellt, will die Mengen freundlicherweise dokumentieren und zur Verfügung stellen (Stand 2. Juli 2015).

Hauswurz gibts für kleines Geld beim Gärtner oder auf Mäuerchen und Flachdächern, notfalls tuts auch ein Schnitz von einem Blatt Aloe vera (geschält) oder ein Schuss fertiges Gel davon (Apotheke, Bioladen, Reformhaus)

Auch der Rest ist übers Netz zu beziehen:
Katechu und Kamillenblüten z.B. recht günstig hier: 
http://www.wolle-und-garne.de/naturfaerben/faerbepflanzen/catechu.htm

wenn Cassia auriculata nicht zu kriegen ist, geht C. obovata zur Not wohl auch (laut Rückmeldung), z.B. hier:
http://www.brennessel-muenchen.de/haarfarben/pflanzenpulver/hennapulver-neutral-100-g.html

Cassia auriculata jetzt auch hier (Stand 2. Juli 2015)
http://www.ebay.de/itm/100g-Henna-Pulver-neutral-NATURLICHE-HAARPFLEGE-/180869284626

Viel Erfolg und gutes Gelingen!

Im Grunde kann nix schiefgehn, kein Inhaltstoff ist giftig und es haben inzwischen schon viele 'Unerfahrene' das Mittel gebraut und, soweit ichs erfahren habe, sind alle glücklich damit, auch die, die mit Trockenkräutern und Cassia- Extrakt (zur pflanzlichen Ledergerbung) gearbeitet haben.

Nachtrag II:


Nachdem der Link nun leider auf Facebook und in andere Laberbörsen geraten ist, nervt der Moloch mit stereotypen Anfragen – und dem Selbstverständnis, alles sei käuflich, inklusive meine Zeit und mein Aufwand. Irrtum.
Kein Verkauf!! Unter keinen Umständen und zu keinem Preis.

Wer keine Zeit oder Möglichkeit hat sich das Mittel zu machen, kann Apotheker oder Drogisten darob bemühen (die ham des glernt).

Ausserdem dauert es sicher nicht mehr lang, da kopiert einer die Rezeptur und macht ein Geschäft draus, also nur Geduld.

Freitag, 18. Juli 2014

Tschamba Fii- Alternative, selbstgemacht


Update 12. August 2015:

mit vereinfachter Zutatenliste und der Verwendung von Trockenblüten

Nachdem das gute alte Sonnenkosmetikum Tschamba Fii nicht mehr hergestellt wird, laut Hersteller (Biokosma) - Webseiten- Info zu Anfang des Sommers „weil der darin verwendete Gerbstoff am Weltmarkt nicht mehr erhältlich ist“, habe ich selbst eine Rezeptur zusammengeschraubt, die genügend pflanzlichen Gerbstoff, natürlicher Genese (in Antwort auf die sachlich fragwürdige Ökotest- Krittelei am Original) enthält; und ausserdem ohne Milchsäure auskommt.

Die angegebene Menge ergibt gut 4 Liter Konzentrat, d.h. über 8 Liter fertiges Sonnenschutzmittel, das genauso zu verwenden ist wie das Original Tschamba-Fii, also für Hellhäutige am besten schon ein paar Tage vor dem Sonnenbaden, direkt in der Sonne natürlich, sowie bei Sonnenbrand.

Herstellung:

100g getrocknete Blutwurzwurzeln (Tormentilla erecta) mit 0,7 Liter 32% Kornbrand und 0,7 Liter Wasser ansetzen und mindestens 12 Tage in einem Glasgefäss an der Sonne ausziehen, dabei ab und zu schütteln.

Frische Mädesüssblüten (Filipendula ulmaria) bis obenhin in ein 1 Liter Glasgefäss füllen, mit 32% Kornbrand bedecken und ebenfalls mindestens 12 Tage ausziehen, täglich schütteln.

Danach beide Ansätze fein abseihen und mischen.

Die Rückstände der Wurzeln und Blüten in einen emaillierten Kochtopf oder ein Edelstahlgeschirr zusammenschütten, 3 gute Hände voll Blüten der Käsepappel (wilden Malve) oder Moschusmalve, ~10 frisch geschnittene und zerkleinerte Blättchen einer Hauswurz (Sempervivum tectorum), 1 EL getrocknete Kamillenblüten, 1 EL gemahlenes Senna (Cassia auriculata), 1 EL gemahlene Katechu (Acacia catechu, Gerber-Akazie) dazugeben, alles gut mit Wasser bedecken, aufwallen und danach 10 Min. am Herd ziehen lassen, abseihen, auskühlen lassen. 
Dann ebenfalls filtern und mit dem alkoholischen Ansatz mischen, fertig.

Kühl und dunkel lagern. 
Ich wage es, aufgrund der enthaltenen Antioxidantien, der Gerbstoffe und der bakterienhemmenden Salicylsäure keine weitere Konservierungsmittel dazuzugeben. 

Für den Gebrauch jeweils das Vorratsgefäss aufschütteln, den Extrakt in ein handliches Fläschchen füllen und mit etwa der gleichen Menge Wasser verdünnen. Die Lotion hat eine Honignote sowie einen aspirinartigen Geruch vom Mädesüss, der sich allerdings beim Auftragen schon verflüchtigt.

Das Spannungsgefühl der Haut ist ähnlich wie bei Tschamba-Fii, von Färbung und Konsistzenz ist es kaum zu unterscheiden, nur der feine, mehlartige Niederschlag des Originals fehlt.

Wer einen der Inhaltsstoffe nicht verträgt (Salicylate- Empfindlichkeit!), verträgt die ganze Lotion nicht - ich hoffe, das ist selbstverständlich. 
Auch Pollenallergiker könnten mit dem Mädesüssblüten-Extrakt ein Problem haben. 

Der Wirkstoff Salicylsäure wird leicht über die Haut aufgenommen. Das kann u. U. zuviel des Guten werden - spricht die Fachliteratur – deshalb vorsichtshalber nicht mehr Mädesüss verwenden als angegeben und bei Schwangerschaft, Stillzeit, Asthma... aufpassen.

Salicylsäure ist auch in einigen Psoriasis-Salben enthalten. Sie bewirkt, dass die Hautschuppen sich voneinander lösen und diesen Effekt bemerkt man auch nach dem Auftrag. Es fliegen ganz feine Schüppchen davon, wenn man mit der Hand drüberstreicht. Ein Vorteil ist, dass die anderen Wirkstoffe mit der Salicylsäure zusammen leichter in die obere Hautschicht dringen.

Ich habe die Lotion zuerst an mir selbst geprüft (tägliche Anwendung am ganzen Körper, auch in Kombination mit Öl, beim Baden im See in Sonne und Hitze und explizit 2 Stunden lang auf dem Bauch liegend, um den noch völlig unbesonnten nackten Hintern als Testfläche zu verwenden). Es gab keine Reizung, keine Rötung, geschweige denn einen Sonnenbrand. Und ich habe Proben verteilt an willige Tester, alle blond und hellhäutig wie ich.
Bis jetzt hat es sich ausnahmslos bewährt. 

Auf das interessanteste Ergebnis, nämlich das einer Person mit very british complexion und sehr empfindlicher Haut, die NUR mit Tschamba Fii braun wurde, sonst nur rot und danach sofort wieder weiss, aber gleichzeitig Sonnenkosmetika mit Lichtschutzfaktor nicht verträgt, warte ich noch. 
Sie war der eigentliche Anlass, einen Tschamba Fii - Ersatz zu erfinden.

Ich veröffentliche das Rezept aber trotzdem schon jetzt, wegen der Blütezeit von Malve und Mädesüss. 

Nachstricken und Anwendung auf eigene Verantwortung! Ich teile hier meine Erfahrungen mit.

Bei Fragen bitte zuerst diesen
Nachtrag lesen, Danke!

Donnerstag, 18. Juli 2013

Ruta graveolens, die Weinraute


Die Weinraute ist beim ersten Eindruck ein augenfällig sonniges Jupiter-Kraut im alten Sinn, als Jupiter das Fischeprinzip mitbeherrschte und damit alle giftigen oder narkotischen Pflanzen.

Ruta trägt das matte Graublaugrün Neptuns an Stängeln und Blättern, wie man es auch von Mohnkapseln kennt, und hat tatsächlich erhebliche Arzneiwirkung, weshalb man sie mit Bedacht dosieren sollte und in der Schwangerschaft und Stillzeit meiden.

Die Blüte ist erst beim zweiten Blick gift-grüngelb und trägt vier Pollenstände frei an einem 'nadeligen' Kreuz (Ma/Sa), die anderen vier verborgen in drachenförmigen Blütenblättern, die sich nicht völlig öffnen, sondern mit aufgerollten Rändern jedes Blatt zu einem rautenförmigen Gefäss formen, vielleicht kommt ja daher der Name.

Unübersehbar ist die strenge Symmetrie der Blüte, ihre Kreuzform der Verhaltenheit und Struktur.
Die Pflanze selbst wächst gerne auf sonnigen, mageren Böden und wurde vermutlich als Weingewürz von reisenden Klosterbrüdern aus Südeuropa "eingeschleppt", die sie dann auch als (männliches) Anaphrodisiakum und zu weiteren Anwendungen einsetzten.


Es ist das Kraut für (Über)anstrengungsfolgen, das der Tüchtigen und Kämpfer an den Grenzen des Groben, Erdschweren und Materiellen.

Die Leiden der Widerständigen, Ehrgeizigen sind angesprochen, die der (Ausdauer)-Sportler und Gnadenlosen gegen sich und andere, die Zielverfolger, auch im Feinen, die Konzentrierten, Fokussierten an Pinseln, Sticheln, Nadeln, Feilen, Lötspitzen und anderem präzisen Werkzeug.

Die Ruta-Blüte gefällt naturgemäss den Strukturproblematikern und Liebhabern des gespiegelten Ebenmasses (Sa/Ur), die Unvollkommenheit und Begrenztheit der Welt wenigstens geistig durchdringen wollen oder sich vergebens oder unbewusst daran abarbeiten (Ma/Sa).

Sie ist eindeutig Vorbild für die Kreuzblumen (Wiki), typische Ornamente, die die Abschlüsse an Türmen und den Zusammenlauf von Bögen an gotischen Bauten zieren:


Wie die echte Ruta- Blüte ist die gotische Kreuzblume nach unten gerundet und öffnet sich nur direkt nach oben, niemals schräg oder seitwärts, und bildet erdseitig ein klar strukturiertes Viereck, das die fein geschwungene Ornamentik und Grazie, die sich nur in der Draufsicht zur Gänze zeigt, bestenfalls ahnen lässt.

In der Gotik war alles streng himmelwärts, jenseitig ausgerichtet, es war unerheblich, dass der kleine Erdenmensch und Kirchenbesucher die volle Ausprägung der Ornamente wegen der grossen Höhe kaum sehen konnte. Es zählte nur der Eindruck, auch der der Unerreichbarkeit der Grösse (Gottes).

Vom Altertum bis in die Neuzeit war die Weinraute ein hochgeschätztes Pharmakon, erst in der Neuzeit wurde sie so gut wie vergessen.
Laut Christian Rätsch (in seiner "Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen") könnte sie die sagenhafte Pflanze Moly gewesen sein, die Odysseus vor der Zauberin Kirke beschützte und seine in Schweine verwandelten Männer erlöste, also in Menschliche zurückzauberte.

Ihr Ruf als Gegengift, als stoffliches Antidot für Pilzvergiftung, Tiergifte und gegen das Umkippen des Weins ist belegt.
Sie wurde, zusammen mit Salbei, Wein in zweifelhaften Gefässen und Darreichungen beigegeben, damit der keine üblen Folgen hatte oder einfach, damit er sich länger hielt.
"Salvia cum ruta facunt pocula tuta" ("Salbei und Rauten im Wein lassen Dir das Saufen nicht schädlich sein").
Die Cumarine der Raute könnten, wie die des Waldmeisters, den noch jungen Wein (Sauser) bekömmlicher machen, Salbei stoppt eh das Wachstum von Mikroorganismen, falsche Hefen z.B., aber das Entscheidende ist wohl die Stärkung des Bewusstseins gegen den Rausch, als grösste Potenz des Krauts.

Die Raute galt als vor allem als antidämonisch, innerlich wie äusserlich stärkend gegen Ansteckung, Befall und Verwünschungen.
Es gab noch im 19. Jhd. Amulette in Form von kleinen Wachstäfelchen, in denen Rautenlaub mit Salz eingeknetet war und die am Körper getragen oder dem Vieh eingegeben wurden, wenn eine "Sucht", Seuche unterwegs war.
Auch war sie Bestandteil des Pest- oder Vierräuberessigs, den die Ärzte mittels getränkten Läppchen in ihren Pestmasken verwendeten. Das Rezept dazu hatten sie von einer gefassten, gesundgebliebenen Plündererbande erpresst, die auch das Ausgraben verstorbener Pestkranker nicht gescheut hatten.

Die Anwendungsgebiete und Rezepte mit Raute sind Legion. Sie wurde frisch und getrocknet als Gewürz verwendet, in Olivenöl gekocht (Wurmmittel) und in Wein (Emenagogum, Abortivum, Tonikum), in Milch und Wasser (Lungenverschleimung, Harnwege, Verdauung), wurde in Salz, Honig, Zucker und Fruchtmus eingemacht (Augen, Sehkraft, Herz, Sinne(sorgane), in Branntwein ausgezogen oder als Likörkraut (luststeigernd und tonisierend für Frauen, lustmindernd und  sedativ bei Männern), als Umschlag oder Pflaster aufgebracht (Gelenke, Hautkrankheiten, offene Beine, Tierbisse, Insektenstiche), Bädern beigegeben (gegen Krämpfe, Schwäche, Hysterie)...

Bei der Raute als Heilkraut geht es um die Stärkung des Ich-Pols, des Sonnenhaften. Wie die kantig-klare Blüte das matte, lapprig geformte Laub überragt und krönt, beherrscht ein souveränes Ego in Selbstverständnis seinen Willen, durchstrahlt und strukturiert ein gesunder Mut und Herzrhythmus den Organismus und entzieht den "Krankheitswürmern" und Besetztheiten die Grundlagen des Wachstums.

In der Homöopathie gehört Ruta(*) zu den unverzichtbaren, strukturheilenden Mitteln für Bindegewebe aller Art, bei Sehnen-, Sehnenscheiden- Knochenhaut und Gelenksbeschwerden, aber auch für müde Augen, alles in Folge von Überforderung, schicksalshafter Härte und Vergeblichkeit und/oder Einseitigkeit der Belastung.

Die erste Ruta-Pflanze, die ich vor etlichen Jahren in den Garten pflanzte, wollte nicht wiederkommen, nachdem sie eine kindliche Untersuchung nicht überlebt hatte. 
Mein damals noch kleiner Sohn, dem "Brumen" im allgemeinen hinten vorbeigingen, war von der Pflanze, besonders von den rundpolsterartigen, noch unreifen Samenkapseln eines Tages offensichtlich angezogen. Er zerlegte sie (Widder AC, Mars in V, was willst machen...), roch dann stirnrunzelnd an seinen kleinen Fingern, befand: Äah! und streckte die Hände angewidert von sich, bis sie mit Seife gewaschen waren.

Vorletztes Jahr dann unternahm ich wieder einen Anlauf mit geschenkten Pflänzchen aus dem Garten einer Bekannten, in der die Raute nur so wuchert. Kaum in der Erde, hatten sie die Schnecken trotz trockenem Wetter innerhalb kurzer Zeit niedergemäht.

Letztes Jahr dann wollten endlich ein paar Rauten überdauern, da hatte ich bereits gelesen, dass die Pflanze unter Flüchen und Verwünschungen gesäht werden will oder als Pflänzchen geklaut. 
Die hundsmiserablen gottverdammten Dreckspflanzen trieben dann tatsächlich recht schnell durch und stehen auch heuer wieder üppig in Kraut und Blüte. 

Ich begann gleich einen spontanen Selbstversuch zur legendären Wirkung der Raute auf die Sehkraft. Maler, Schreiber, Feinhandwerker nutzten sie überliefertermassen für ein "gutes Gesicht", salzten sich einen Vorrat ein oder nahmen sie mit Feigen, Honig oder Schnaps zu sich. 

Ich hatte da gerade eine frickelige Stickerei, kleinste transparente Glasperlen mit feinster Nadel auf Hirschleder, in Betrieb. Gar nicht mein Ding - nach zwei Stunden brannten mir die Augen wie Feuerbälle und konnte ich fast nicht mehr fokussieren. Ich holte mir ein paar Blättchen aus dem nächtlichen Garten und die wirkten sofort, obwohl ich nicht damit gerechnet hatte.

Seitdem anerkenne ich das feine Kreuz in der Blüte zusätzlich als Fadenkreuz und esse so gut wie täglich mindestens diese Menge Rautenblättchen, gleich in der Früh zum Espresso, die Geschmäcker vertragen sich gut...


...und ich weiss seitdem, dass im Kleinstgedruckten meiner Duschgeltube sich Wörter wie Disodium Cocoyl Glutamate und Isoamyl Laurate herumtreiben, kann also eineinhalb Jahre vor meinem 50. Geburtstag noch eine 6- oder 7Punkt- Schrift voller Unbekannten lesen, wenn auch zugegebenermassen nicht mehr im Düsterlicht meines Badekammerls.

Und die winzigen Öldrüsen im Rautenblatt kann ich sehen gegen das Licht, das war mir letztes Jahr noch verwehrt. 


(Das Fotografieren erwies sich als schwieriger...) 

Für den Winter hatte ich mir etwas Kraut getrocknet, das ich ab und zu kaute, es vertreibt auch den Mundgeruch nach rohen Zwiebeln und Knoblauch. 
Die Öl- oder Wachsschicht auf dem Laub bleibt bei schonender Trocknung erhalten und macht die Trockenpflanze leicht ledrig. 
Sie  schmeckt angenehm aromatisch, nicht ganz so bitter und rass wie das Frischkraut. Gepflückt hatte ich sie noch vor der Blüte.


(Das Kraut sollte kein Licht erwischen, weder beim noch nach dem Trocknen. 
Die gelben Anteile auf dem Foto sind ausgebleicht und haben kaum mehr Aroma. Ich hoffe, ihr könntzes lesen ;-)

Eigentümlich ist, dass genau eine Blüte pro Stängel, nämlich die älteste, mittlere, 5zählig ist an Blättern, alle äusseren Blüten aber vierzählig, woraus in einigen Schriften die Signatur "Geist" (Merkur, 5) stünde über "Materie" (Saturn, 4) abgeleitet wird.
Tatsächlich überwachsen die saturnalen Blüten die Merkuriale an Höhe und Anzahl so rasch, dass man sie nur entdeckt, wenn man weiss, dass es sie gibt. Dafür wird die fünfteilige Samenkapsel zuerst reif.

Auffällig ist eher die Zahl 3 (Jupiter), die jede Blütenetage ausprägt, in einem selbstähnlichem Muster: Die Mittelblüte hat links und rechts drei Stängel mit Blüten, von denen die mittlere wiederum zurückbleibt, die randständigen jeweils drei Stängel treiben – und so fort, was zur Entstehung  einer Trugdolde führt.

Eine Signatur, die (wenigstens zum Merken/Lernen) gut passt, ist die Wirkung der Raute auf Aussackungen und Ausstülpungen im Organismus, zu sehen an Teilen der Blüte, vor allem aber an der tropfen- oder sackartigen Form der Blätter. 

Auch die Netzhaut des Auges ist ja ontogenetisch eine direkte Ausstülpung des Gehirns
Dann gibts da noch die Ausstülpungen am anderen Körperende, die Hämorrhoiden, die den Anus abdichten und von denen wir nichts spüren, bis sie sich entzünden, bluten, hervortreten oder so gross sind, dass man ihnen nur noch diesen kryptischen Namen gibt. Früher waren es immerhin "Goldadern", da eher ein Leiden der reichen Schlemmer, die sich Völlerei beim Rumsitzen leisten konnten.

Die Raute entstaut die Leber und damit die hämorrhoidalen Knoten, die an ihrem Kreislauf hängen. Das Auge wiederum hängt am Leberfeuer, dem Jupiterprinzip der Synthese und Erkenntnis, dafür gibts auch viele andere Heilpflanzen, vorrangig das Schöllkraut (Chelidonium, Coeli donum = Himmelsgeschenk, also auch ein Gnadenkraut, Herb of Grace, wie die Raute im Englischen genannt wird).

Interessant bei der Raute ist jedoch ihr ziemlich einzigartiger Einsatz bei Rektum-Ca, -Prolaps, Polypen sowie Darmdivertikulose und -Divertikulitis, sowohl in der Pflanzenheilkunde wie auch in der Homöopathie. 
Letzteres sind echte Jupiterkrankheiten. Die rechte Fügung fehlt und diese Tatsache sinkt ins Stoffliche, ergibt ein Pseudo-Wachstum, eine sinnlose Erweiterung, um ihrer selbst Willen ohne rechte Ursache und Inhalt.

Dabei bilden sich Aussackungen, meist im Dickdarm, bei dem Darmschleimhaut oder ganze Darmabschnitte durch Bindegewebslücken an den Gefässeingängen nach aussen treten und Säckchen bilden, die sich entzünden können und arge Beschwerden machen. Lange Zeit spürt man nichts davon, ist doch der Dickdarm als Domäne des Skorpionprinzips im Organismus entsprechend 'verschwiegen', d.h. dessen Umwandlungsprozesse verlaufend so schleichend und unbemerkt wie in der Tiefe eines Komposthaufens, während das Jupiter-Prinzip ständig zum nächsten Horizont zielt und die dunkle, unbewusste Dimension irgendwo hinter oder unter sich wähnt.

Betroffen sind meist, aber nicht nur, ältere Menschen mit hohem Konsum, materiell, emotional, geistig, der ob seines Selbstzwecks (Mehrung, Füllung, Anregung) weder nährt noch sättigt und daher dauernd Nachschub braucht.
Ein schlaffer, erweiterter Darm mit entsprechendem Bindegewebe ist fast schon die Regel ab einem gewissen Alter, und die ständige Gier nach potentiell einzuverleibendem Neuem eine anerkannte, gesellschaftlich akzeptierte Lebensweise.

Genaugenommen hält diese Art Neu-Gier die immense Flut an sinnlosen Gütern, Seelen- Junkfood und Information erst auf dem steigendem Level. 
Die reaktive Spiritualitätssucht mit ihren Sinn+Glücksverkäufern ist nur eine ihrer Folgen. Die Ursache liegt in einem Blick auf die Welt, die sie zur reinen Funktion reduziert: Ein riesiger 24h Supermarkt, ein Konsumparadies mit 3-D Screens, angestelltem Beratungs-, Bespassungs- und Animationspersonal, das gewohnheitsmässig mit dem geistigen Einkaufswägelchen durchwandert wird auf der Suche nach dem nächsten Convenience- Produkt.

Ruta bringt den physiologischen Tonus der Darmwände zurück, natürlich braucht das ein Weilchen und der Jupiter- Fülle- und Wachstumspotenz sollte man gleichzeitig eine sinnhafte Manifestationsebene eröffnen. 

(*)Da es auch von Laien gut einsetzbar ist (D4 bis C30) hier eine Übersicht der wichtigsten Symptome bei homöopathischer Anwendung:

Knochen- und Periostverletzung!! Hand+ Fussgelenke!

(nach Symphytum bei Knochenbrüchen; nach Arnica bei Gelenksverletzung )
Verstauchung, Verrenkung mit Lähmigkeit und Schmerz WIE ZERSCHLAGEN (= Leitsymptom!), besonders Handgelenk und Knöchel, Schwäche und leichtes Umknicken derselben nach längerem Sitzen
Ruhelos, ändert häufig die Lage beim Liegen, Körperteil auf dem man liegt, schmerzt wie zerschlagen
Bei Rückenschmerz bessert Rückenlage
weher, wunder Schmerz in der Achillessehne
Tennisarm!
Ganglion am Handgelenk
Sehnenscheidenentzündung
schmerzende Ablagerungen im Gelenksbereich (z.B. Kalkschulter)
Schleimbeutelentzündung (bes. am Knie, bes. Bursitis praepatellaris)

Schlimmer bei:

– Kälte
kaltem, feuchtem Wetter
zu Beginn der Bewegung
– Liegen auf der schmerzhaften Seite

Es bessert:

fortgesetzte Bewegung
Reiben, Einreibungen
– vorsichtige, bewusste Bewegung ins schmerzhafte Gebiet hinein

(Es finden sich Gemeinsamkeiten mit Rhus tox, Arnica und anderen Mitteln, auf Augen-, Gebärmutter- Rektum- und andere Beschwerden gehe ich nicht näher ein, da sie homöopathisch schwerer von anderen Mitteln zu differenzieren sind.)

Sonntag, 7. August 2011

Mädesüss


Als ich neulich durchs Moor spazierte, schön unbedacht in der Kurzen, wegen nahendem Regen als einziger Blutspender weit und breit, wurden die Stechmücken und Bremsen sofort gierig. 
Ich wollte ein paar Blutweiderich-Makros knipsen und habe alle verwackelt, weil ich dermassen angegangen wurde von den Viechern.

Aus einem Impuls heraus habe ich mir dann einige Nüsschen des nächstbesten Mädesüss gegriffen, zu Brei gekaut und mir die Spucke davon in die Armbeugen und Kniekehlen gerieben. Da wurde ich sofort in Ruhe gelassen.
Gut, dachte ich mir, schreibst über dieses Kraut.

 Die Schötchen, sich spiralig nach links ausdrehend, in verschiedenen Öffnungszuständen.

Die Mädessüsssamen schmecken grün sehr chemisch- medizinisch, ähnlich, wie Enelbin-Paste riecht, nach Eukalyptus- und Wintergrünöl. Reif und braun schmecken sie dann, unverkennbar sauer, nach Aspirin, dem Medikament, dem das Mädesüss via Spiere, Spierstrauch den Namen gab.

Ihr Gehalt an Salicylsäureverbindungen hatte sie kurzzeitig auch für die modernen Pflanzenheilkunde interessant gemacht, der es ja vor allem um die Inhaltsstoffe geht. 
Während das chemisch hergestellte ASS magenmässig oft schlecht vertragen wird, macht der pflanzliche Wirkstoff keine Probleme. Er verlässt den Magen inert und wird erst im Dünndarm zur Säure aufgespalten. 

Das Mädesüss ist der pharmazeutischen Industrie trotzdem ausgekommen, da ihr Wirkstoffgehalt so stark schwankt. In der Regel wird die Weidenrinde zur pflanzlichen Salicylsäuregewinnung verwendet.

 Der Merkur lacht ihr aus den Blüten...

Filipendula ulmaria heisst sie botanisch, die "Fadenhängende Ulmenhafte", das "ulmenhaft" ziemlich weit hergeholt von den gerippten Blättern mit weisser Unterseite. 

Das alte Spiraea fand ich passender, schon Paracelsus nannte sie so. Von (A)Spira, der Hauch, Atem? Von Spira, der Drehung? Oder von Speíra, dem Gewinde, weil man sie ihres Duftes wegen mit in Girlanden flocht?
Sie blüht nicht nur aus wie ein Vanillesahnehonigwölkchen, sie duftet auch so, wenn sie trocknet, im Heu, nach der Mahd. Daher vermutlich ihr deutscher Name Mädesüss, einer unter vielen.

Die Briten, Belgier, Franzosen aromatisieren Schlagrahm und Süssspeisen damit, wohl auch ein altes Erbe für die Vorliebe dieses Aromas (im Süden Deutschlands weiss ich jetzt nichts davon) Auch bei den Schweden heisst das Mädesüss verdächtigerweise Älgras, Ale-Gras, also Bierkraut.
Mädesüss war nachgewiesen ein übliches Wein- und Metgewürz (Mädesüss = Met-Süsse?) und eventuell sogar Bestandteil des Gruit, der keltischen Bierwürze aus Schafgarbe, Beifuss, Blütenhefen, und mutmasslich Bilsenkraut.

Die Spiere könnte durch ihre blutverdünnende und schmerzstillende (lokale Entzündungszeichen lindernde) Wirkung dem Schädelbrumm infolge der geballten Thujon-Hyoscyamin-Alkaloid- Dröhnung der anderen Beigaben am nächsten Tag vorgebeugt haben.
Der milde, sedierende Hopfen war als Bierwürze in früher Zeit unbekannt und später teilweise verpönt. Man schätzte es (u. a. bei den Kelten, lange her) wenn Bier den "Muth" hervorrief, der sich leicht zur "Wut" verkehrte.

Wiesenkönigin heisst sie, da sie mit ihrer Höhe (bis zu 2 Metern) alle anderen Blütenpflanze überragt, zumindest an den feuchten Standorten, wo sie hoch und üppig wächst. In trockeneren Übergangszonen gerät öfter mal die Herkulesstaude mächtiger, die heisst ja auch nicht umsonst so.
Im Trockenstrauss regiert sie allerdings immer, beduftet durch ihren hohen Cumaringehalt tagelang intensiv den Raum und dominiert andere Pflanzenaromen.
Hängt man sie zum Trocknen für den Tee auf, brauchts ein Tuch darunter, da sie dabei viele ihrer Blüten abwirft.

Über einen längeren Zeitraum passend eingesetzt, vermag die saure Süssduftende Magengeschwüre auszuheilen, die ja nichts anderes sind als Löcher, die die Salzsäure des Magens in die eigene Wand frisst. Eine schöne Somatisierung der Autoaggression. Rheuma, DAS (erste) Anwendungsgebiet, in dem Aspirin zum Segen wurde, ist eine andere Form des gleichen Themas.

Ihre Vorliebe für nasse Wiesengründe, Flussufer und Sumpfgebiete, wo sie aus der schwülen Feuchte hoch hinaus ins Luftige wächst, weisst auf ihren Bezug zu feuchten Krankheiten hin, die sie auszutrocknen vermag.
So wurde sie beim exudativen Stadium der Rippenfellentzündung eingesetzt und zeigt sich speziell bei den rheumatischen Beschwerden wirksam, die mit heissen und ödematösen Schwellungen beginnen, egal ob am Gelenk oder sonstwo. (dazu: Tee aus den Blüten, immer als Kaltansatz).

Lange blieb die autoaggressive Komponente des Rheumas im Dunkeln. Das einzig Evidente schien den Badern und Dottores, dass die Entzündung am liebsten dann, dort und bei denen losbrach, wo der Blutfluss "kalt" und "schwer"(dick) wurde.
Also am Ende des Winters, bei den Gwamperten, Reichen (Schmalz- und Fleischessern), bei den Melacholikern ("Schwarzgalligen") nach langer Arbeit in der Kälte oder im kalten Wasser, in den kleinen Gelenken und wenig bewegten Körperpartien.

Man behalf sich recht und schlecht mit Aderlass und lokalen Ableitungsmethoden gegen die Symptome und Schmerzen (reizende Pflaster, Blutegel, Wickel, Teilbäder etc.)
Aus irgendeinem Grund war die Spierstaude zumindest in der Literatur kein besonders gelobtes Heilkraut. In den alten Kräuterbüchern steht nicht viel über sie, was aber auch an namentlichen Verwechslungen und Unschärfen liegen kann. Je populärer oder berüchtigter ein Heilkraut, umso mehr Namen bekommt es..

Rheuma hat viele Gesichter. Das Wort bedeutet im Altgriechischen: Fluss. Rheumatismos = an der herumfliessenden Krankheit leiden.
Lange wurde es mit Gicht und Arthrosen anderer Ursache in einen Topf geworfen, es war die Krankheit, die von Gelenk zu Gelenk sprang, scheinbar grundlos Muskelgruppen, grosse Gelenke, Haut, Nerven, "Rückenmark" und innere Organe befiel, sich mal hier, mal dort als Zipperlein äusserte. (Im Grunde ist das heute nicht anders.)

Man brachte sie lange in Verbindung mit krankmachendem Miasma (griech. "schlechte Luft"), mit feuchten, finsteren Wohnungen, Städten, Gegenden oder ganzen Gebiete mit entsprechendem Klima. Deutschland dürfte grössenteils dazugezählt haben, denn das heutige Europa, inklusive seines Südens, bestand die längste Zeit überwiegend aus Sümpfen und Wald.
In den wärmeren Mittelmeergebieten hielten Sumpffieber und Malaria regelmässig tödliche Ernte. In höheren Bergtälern, im Alpengebiet, war es oft fast ein Dreivierteljahr finster und ein Vierteljahr kalt. Und das nicht nur nachts auf dem Strohsack.

Insofern hat die Miasma-Theorie schon recht: Das Klima bestimmt die Bedingungen und die Bedingungen die Krankheiten.
Ausgrabungen zeigen, dass alle frühgeschichtlichen Bewohner des jetzigen Deutschlands Nasennebenhöhlenentzündungen hatten. Warum auch immer. Der ätzende Dreck von den Feuern in den Langhäusern und Hütten während der langen Winter könnte zu ständigen Erkältungen beigetragen haben.
Oft waren schon Jugendliche mit arthrotischen Deformationen gesegnet. Viele Erwachsene dürften arge Schmerzen gelitten haben.

Es dürften wohl einfach die substantiell-arzneilichen Effekte des Mädesüss gewesen sein, die ihr zum heute sagenhaften Ruf einer "alten keltischen Zauberpflanze" verholfen haben. Das Aspirin der Frühzeit.
Dass ihre Anwendung mit viel Brimborium erfolgte, spricht nicht dagegen, die Kelten liebten bekanntlich den Zinnober.

Die Synthese von ASS, die nachfolgend weltweit leichte Verfügbarkeit in Tablettenform machte auch Aspirin zu einem Wundermittel. Es wurde buchstäblich für ALLES probiert, was im Menschen weh tun oder klemmen konnte. Es wurde nicht grundlos zum "Segen für die Menschheit" und "Medizin des Lebens" genannt.
Acetylsalicylsäure hemmt Entzündung und Fieberreiz direkt an der ersten Gewebsreaktion (an den Prostaglandinen) und gelangt durch seine blutverdünnende Wirkung auch leicht in schlecht durchströmtes Gewebe.

Das gleiche schafft auch Mädessüss, nur dass es schwerer zu dosieren ist. Bei Überdosierung macht sie Schwindel, Benommenheit, Sodbrennen, Druck- und Einschnürungsgegefühl in der Speiseröhre, Hitzeempfindungen, lokal oder am ganzen Körper, und bei zu geringer Dosierung passiert halt gar nichts.

(Als ich einmal bei Schmerzen hinter dem Auge, mit dem Radl auf dem Weg zum MRT, ein paar alte Spiersamen vom Wegrand zerkaute und schluckte, wurde mir tatsächlich blümerant zumute, mit Blutandrang zum Kopf. Der Schmerz verging kurz darauf. Ursache war ein Abszess in der Siebbeinhöhle gewesen, aber das wusste ich damals noch nicht)

In der homöopathischen Prüfung (u. a. Bojanus – prüfte es in Substanz – Der Neue Clarke, Band 9) ergaben sich Beschwerden, die sich bei Feuchtigkeit, Kälte, beim Waschen mit kaltem Wasser verschlimmern und im Freien, im Licht und bei fortgesetzter Bewegung bessern.
Wassereinlagerungen in den Gelenken, Gesichtsröte, aufgetriebene Venen an den Händen, Verschlimmerung/ generalisierte Hitze um 17.00 Uhr., und, wen wunderts, ein ganzer Haufen anderer Zipperlein.
Interessant fand ich auch Bojanus' Beobachtung eines "krankhaft gesteigertes Gewissen": Reue und Selbstekel über eine lang zurückliegende Lapalie. Dieses Symptom, bzw. dieses Anwendungskriterium für Spiaraea ulmaria schaffte es bis in den neuen Boericke, ein zuverlässiges homöopathisches Handbuch. 

Reue, Selbstekel, Skrupelhaftigkeit bis hin zur Depression gehören zur dunkle Seite des sonnigen Löwen, auch verkörpert von Aurum, dem homöopathischen Gold. Eine sehr grundsätzliche, tiefgreifende Arznei bei zerstörter Liebe(sfähigkeit), Herzleiden, bei schwerem Rheuma, Knochenschmerzen und massiven Depressionen.  Gold wurde noch im 20. Jhd. substanziell bei Rheuma eingesetzt (in Injektionen) und in diversen Metallsalzverbindungen pflanzlichen Rezepturen beigemengt.

Es ähnelt in seiner Gemütsverfassung dem Blütenwasser der Pflanze (nach der Bach-Methode). Es wirkt zwar nicht so grundsätzlich, doch es ist ein zuverlässiger Egostreichler: Es wirkt gemütsaufhellend, macht zuversichtlich und wirkt lindernd auf gebrochene Herzen und Folgeerscheinungen.

Mädesüsstee aus den Blättern (ebenfalls im Kaltauszug zu bereiten) ist ein altbewährtes Mittel bei der sog. Sommergrippe: Magenbeschwerden, Bauchkrämpfe mit Durchfall und Fieber, für Kinder am besten mit Eibisch gemischt. Der hohe Gerbstoffgehalt der Blätter wirkt als Adstringens bei Durchfall.

In der schwülen Hitze des Sommers gab es vor dem Kühlschrank-Zeitalter teils lebensbedrohliche Infektionen durch verdorbene Lebensmittel und verkeimtes Wasser.
Die rote Ruhr (blutiger Durchfall, hatten wir neulich zur letzten Volkspanik) war gefürchtet. Das Mädesüss stand freundlicherweise genau zur rechten Zeit als Heilmittel zur Verfügung: Es blüht ab Juni und die Samen sind bis in den Winter zu finden, sie haften nämlich sehr lange an den Dolden und sind dadurch dem Kranken verfügbar.
Mädesüss hält sich lange aufrecht im Schnee, "spiert" heraus, wo andere Pflanzen schon vor den ersten Frösten umgefallen und verfault sind. Dank ihrer gut verkieselten Stängel und der konservierenden Säure hemmt sie etwaigen Pilzbefall und hält auch die Huminsäuren eines Moorbodens aus.

Allgemeine arzneiliche Indikationen sind leicht zu merken:
Der Gebrauch der Blüte entspricht dem des Aspirins, bzw. der Acetylsalicylsäure: Fieber, Schmerzen, Krämpfe, Erkältungssymptome. Blutverdünnung, harn-, harnsediment- und schweisstreibend, entwässernd.
Als Gesichtswasser bei Akne.

Über die Wurzel (Radix Barbae caprinae) kann ich nur andere Autoren zitieren: Laut Lonicerus und Bock gallereinigend, der Absud gegen die rote Ruhr gebraucht, laut Losch als Pflaster bei Brüchen und "Zereissungen", als Wundmittel, zur Einspritzung in Fistelgeschwüre (=Abszess) – (würde ich nicht ausprobieren)

Die Blätter haben, wie erwähnt, zusätzlich adstringierende Wirkung auf die Schleimhäute des Verdaunungstrakts.

Bei Kopfschmerzen sind Mädesüsszubereitungen mit Vorsicht zu geniessen. Je nach Schmerzursache kann Mädesüss Linderung oder das glatte Gegenteil bewirken (zusätzlich Schweregefühl, Schwindel, Berauschungsgefühl). Manchen hilft der Duft besser als ein Tee, anderen wird genau davon übel.

Interessanterweise polarisiert nicht nur ihr Aroma, sondern auch der Geschmack ihrer Zubereitungen von "angenehm" bis "scheusslich".

... und das marsische Rot in den Stängeln. 

Signatur: Mars-Saturn, die Blüte: merkurial

Schön die verschiedenen Reifezustände, ganz typisch an einer Pflanze versammelt: 
Die runden Knospen, die offene Blüte, der reifende Samenstand gleichzeitig. Der jüngste Trieb überragt jeweils die Älteren, das lässt die Pflanze so hoch hinauswachsen. Sie blüht den ganzen Sommer hindurch und manchmal nochmal im späten Herbst. Sie ist die Pflanze, die nie "fertig" wird, streng nach oben geht und nie in die Breite. Erst zieht sie marsisch raus aus der Feuchte, dann erst macht sie ihre Wölkchen und Schötchen im oberen Drittel.
Meist neigen sich alle Pflanzen in Richtung der längsten Sonneneinstrahlung am Ort, selten stehen sie ganz lotrecht in der Landschaft.

Wenn sie welkt und das Silicea-Gerüst in Stängeln und Blättern vorherrschend wird, zeigt sie ihre saturnische Eleganz, die sich den ganzen Winter über hält. Der Mars (die Säuren) bescheren ihr dazu die nötige Abwehr.

Hier Mädesüsslaub beim Vertrocknen. Ein schönes Bild von Mars-Saturn Prinzipien in Gemeinschaft:
(Anklicken zeigt jeweils das grosse Bild.)